Standort Ruhla / Station Uhrenstadt Ruhla
Ruhla – der Thüringer-Wald-Ort steht für Tabakpfeifen- und Uhrenindustrie gleichermaßen. Während Tabakpfeifen nur noch eine museale Größe darstellen, werden Uhren bis heute produziert. Alles begann bereits im 11. Jahrhundert mit der Metallgewinnung und -verarbeitung. In Ruhla blühte der Eisenbergbau. In Schmelzhütten wurde das Erz verhüttet, dann das Eisen verarbeitet. Die nötigen Brennstoffe lieferte der Wald. Die ersten Erzeugnisse waren Waffen und Rüstungen. Später widmeten sich die Ruhlaer der Messerherstellung, dann spezialisierten sie sich auf Pfeifenbeschläge. Daraus entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts eine Massenproduktion kleinerer Metallwaren. Am wichtigsten aber wurden die Uhren. Den Grundstein für die eigentliche Ruhlaer Uhrentradition legten die Gebrüder Georg und Christian Thiel 1862. Auch sie starteten mit Pfeifenbeschlägen. Zum Sortiment gehörten kleine Geldbörsen aus Metall, Schutzhüllen für Taschenuhren und weitere Kleinmetallartikel. Ab 1871 lieferte man bereits ins Ausland. Zu dieser Zeit zählte der Betrieb 80 Mitarbeiter, Tendenz steigend. Im Jahre 1873 siedelte die Firma auf ein Gelände im Ruhlaer Grund um, wo sich dann der Stammsitz des Werkes befand (Bahnhofstraße). Die großindustrielle Fertigung begann 1874. Der auslösende Artikel war die Kinderspieluhr. Thiels hatten sie in großen Mengen nach England und in die USA verkauft.
Ein neues Kapitel in der Firmenentwicklung begann 1890 mit der Produktion einer ganz seriösen Taschenuhr. Unter dem Namen „Fearless“ brachten die Gebr. Thiel die erste in Deutschland hergestellte gebrauchsfähige und zudem billige Taschenuhr in den Handel. Für nur drei Mark konnte sie erworben werden! 1897 wurden bereits 4.000 Stück pro Tag hergestellt, hauptsächlich für den Export nach Amerika. Gleichzeitig begann die Entwicklung von eigenen Spezialmaschinen und -werkzeug für die Herstellung von Uhren. Schon vor mehr als 100 Jahren war Ruhla komplett auf Uhren eingestellt. Bis zu 10.000 Menschen standen hier einmal in Lohn und Brot. Die Firma Gebr. Thiel setzte auf Massenerzeugung und hatte Erfolg damit. Produziert wurden hauptsächlich Taschen- und seit 1910 auch Armbanduhren, Kinderuhren, Maschinen für die Uhrenindustrie und Zeitzünder. Und wie das in der Geschichte häufig war: Die größten Profite wurden auch hier im Ersten und ebenso im Zweiten Weltkrieg erzielt – und zwar mit der Fertigung von Zeitzündern für Granaten. Sie waren mit Uhrwerken ausgestattet, damit kannten sich die Ruhlaer ja bestens aus. Nach der Besetzung Ruhlas im April 1945 durch US-amerikanische Truppen ruhte die Produktion. Erst im Juli 1945 begann sie wieder und 1949 konnte die bis dato höchste Produktionsmenge von 1938 sogar überboten werden. Am 1. Mai 1952 wurde die Uhrenfabrik nach ihrer Freigabe aus der Sowjetischen Aktiengesellschaft in Volkseigentum überführt – also verstaatlicht.
Auch in der DDR lag das Augenmerk auf einer großserientauglichen Produktion. 1961 stellten die Ruhlaer mit der „electric“ die erste elektrische Armbanduhr der DDR auf der Leipziger Messe als Eigenentwicklung vor. Das erfolgreichste Modell dieser Zeit war aber die Armbanduhr Kaliber 24 – entwickelt im Jahre 1963 als robustes mechanisches Stiftankeruhrwerk. Insgesamt fertigten die Ruhlaer hochgradig automatisiert von diesem Uhrwerk rund 120 Millionen Stück. Das bedeutete in den besten Jahren einen Ausstoß von 30.000 Stück am Tag. Diese unglaubliche Menge wanderte in so ziemlich alle Länder der Welt. Das Kaliber 24 steckte in westdeutschen Uhren der großen Versandhäuser unter Marken wie Meister-Anker ebenso wie in amerikanischen oder russischen Fabrikaten.
Nach der Wende wurde der riesige Betrieb in mehreren Teilen privatisiert. So entstanden etwa 40 neue Unternehmen. Als einziger Uhrenhersteller etablierte sich am alten Standort in der Bahnhofstraße die Gardé Uhren und Feinmechanik Ruhla GmbH. Gardé ist übrigens ein Schachbegriff und wohl eine Referenz an die in der DDR produzierten Schachuhren gleichen Namens.
Das heute noch in der ursprünglichen Funktion genutzte Verwaltungsgebäude entstand 1929 nach Entwürfen des Architekturbüros Schreiter & Schlag. Die damaligen Architekten hatten einen guten Ruf und waren vornehmlich in Jena tätig. Dort entwarfen sie unter anderem das Zeiss-Südwerk, das Planetarium, die Kinos Capitol und Palast sowie eine Reihe von Wohnhausbauten. In Ruhla besticht der sechsgeschossige Stahlbetonskelettbau mit Klinkerverkleidung noch heute mit seiner baulichen Qualität. Er zeigt eine klare Gliederung durch horizontale Fensterbänder und vertikale Gitterstrukturen vor den Treppenhausfenstern an der nördlichen Stirnseite. Auch im Gebäude ist vieles von der ursprünglichen Ausstattung noch erhalten. So wird der Besucher gleich beim Eingang vom Wandmosaik des legendären Schmiedes von Ruhla gegrüßt.
Wer Lust und Zeit hat, der kann hier auch das Museum und den Werksverkauf des heutigen Herstellers Gardé besuchen. Das Museum präsentiert ca. 1.300 Uhren, dazu 35 Maschinen und Automaten sowie 50 Schautafeln. Hier ist die Geschichte der Ruhlaer Uhrenfertigung vom Beginn 1862 bis zur heutigen Fertigung durch die Firma Gardé hautnah erlebbar.
Literaturtipp zum Thema: Manufakturen Maschinen Manager Band 2
Uhrenmuseum Ruhla Garde Uhren und Feinmechanik Ruhla GmbHBahnhofstr. 2799842 Ruhla
Tel.: 036929-700
Fax: 036929-70104 Öffnungszeiten für das Uhrenmuseum Ruhla:Montag bis Donnerstag von jeweils 10 bis 16:30 Uhr, Freitag von 10 bis 15 Uhr und Samstag von 10 bis 14 Uhr, Sonntags geschlossen Eintritt: normal 3,00 €, ermäßigt: 2,50 € Homepage Gardé: http://s627482256.online.de/index.php