Standort Erfurt / Station Geschäfts- (Kauf-)häuser am Anger und Angerbrunnen

Freß-Ex und Damenmäntel

Am Anger schlägt für viele das eigentliche Herz Thüringens. Hier konnte man schon immer toll einkaufen, inmitten der quirligen Besucherscharen eine Tasse Kaffee schlürfen, genüsslich speisen oder lange in Bücherstapeln wühlen. Doch Erfurts Innenstadt hütet ein besonderes industrielles Geheimnis, das man angesichts der heutigen quirligen Einkaufswelt gar nicht glauben mag. Am Anger wurden Mäntel, Kleider und Röcke genäht - und zwar in Massen. Selbst Uniformen für die jemenitische Armee wurden hier zu DDR-Zeiten produziert. Seit der Wende sind all die Bekleidungsbetriebe geschlossen, wurden zu Büros oder Geschäften umgebaut. Wer sich nur eine Stunde Zeit für einen kleinen Spaziergang nimmt, der kann eine architektonische und geschichtliche Vielfalt erleben, wie sie kaum eine zweite deutsche Stadt in dieser gut erhaltenen Ästhetik zu bieten hat. Allerdings lohnt es, sich vorher zu informieren. Sonst bleibt vieles verborgen.

Auf geht’s!

Das erste Gebäude ist die Einkaufsgalerie Anger 1. Auf rund 23 000 Quadratmetern gibt es über 50 Modeboutiquen, Fachgeschäfte, Cafés und Restaurants. Das einstige Kaufhaus „Römischer Kaiser“ war in DDR-Zeiten als Centrum Warenhaus beliebt. Besonders prächtig ist die historische Fassade, die weithin über den Boulevard zu sehen ist. Errichtet wurde der Bau ursprünglich zwischen 1907 und 1908 unter Federführung zweier Architekten aus Halle.

Das zweite Gebäude: Gleich neben dem Anger 1 steht ein Wohn- und Geschäftshaus an der Ecke Johannesstraße/ Krämpferstraße, das in seiner sachlichen Architektur nicht zu übersehen ist. Einfach, weil es einen harten Kontrast zu den historischen Gebäuden im unmittelbaren Umfeld vermittelt. Es wurde 1928/29 im Stil der Neuen Sachlichkeit von Architekt Heinrich Herrling errichtet und war zu DDR-Zeiten eine Poliklinik. Heute finden viele kleine Läden, Banken und Büros ihren Sitz in dem Hauskomplex.

Das dritte Gebäude: Die Fabrikation von Damenmänteln erfolgte unter anderem am Anger 9-11. Hier stand die Fabrik A. Gebser & Co., die 1921 gegründet wurde und später zum VEB Konfektionsbetrieb wurde.

Das vierte Gebäude: Am Anger 21 baute der Architekt Eduard Kayser 1899 ein Haus im Stil des Historismus. Hier hatte die Firma Armin Nöller ihren Sitz; sie produzierte Damenmäntel und -kostüme. Nach der Verstaatlichung 1972 wurde sie zum VEB Ideal Damenmäntel und später mit zwei anderen Betrieben zum VEB Modellkleidung zusammengeschlossen. Dieser Betrieb kam dann auch unter das Dach des Kombinates Oberbekleidung Erfurt. Zuletzt gab es an diesem Standort noch die Janus Design GmbH, die nach der Wende versuchte, die Tradition der Erfurter Textilindustrie fortzusetzen.

Das fünfte Gebäude: Damenmäntel am laufenden Band wurden einst auch am Anger 24 produziert. Erbaut wurde der schöne Komplex 1900 im Stil der Neugotik vom Architekten Ferdinand Schmidt. Hier hatten über die Jahre hinweg gleich mehrere Damenmäntel-Hersteller ihren Sitz, etwa die Firmen Gebr. Lamm sowie Greiffenhagen & Bettsack und später Michelis & Beyer. Zu DDR-Zeiten war dies die erste Adresse des VEB Erfurter Konfektionsbetriebe.

Das sechste Gebäude: Es geht weiter zum Anger 27. Auch hier kamen Damenmäntel aus einem Haus, das 1898 im Stil des Historismus errichtet wurde. Dieses Mal vom Architekten Wilhelm Schwerthelm. Die Firma hieß ab 1938 Thiel & Otto und wurde 1972 zum VEB Erfurter Damenmäntel.

Das siebte Gebäude: Das letzte Haus in der Reihe der Fabriken für Damenmäntel stand am Anger 33. Erbaut um 1900 vom Architekten Rudolf Walter, war es Sitz der 1895 gegründeten Firma H. Meyer & Co. mit jüdischen Inhabern. Die Firma wurde 1938 neuen Besitzern zugeführt. Nach dem Krieg enteignet, wurde das Unternehmen erst zum VEB Bekleidungswerke Erfurt und stieg später sogar zum Stammbetrieb des Erfurter Bekleidungskombinates auf.

Das achte Gebäude: Der Anger-Spaziergang führt weiter zum Geschäftshaus Schellhorn in der Neuwerkstraße 2 . Das ist jene Ecke, die das Ende des Erfurter Angers markiert. Hermann Schellhorn ließ es 1929/30 vom Architekten Heinrich Herrling für sein Einrichtungshaus im Stil der Neuen Sachlichkeit errichten.

Das neunte Gebäude: Den Abschluss des kleinen Rundgangs am Erfurter Anger macht das einstige Kaufhaus Germania. Es wurde 1895 ebenfalls im historisierenden Stil erbaut. Frisch renoviert, steht es am Hirschgarten und damit direkt gegenüber der Thüringer Staatskanzlei. Das Besondere: Hier befand sich zu Zeiten der DDR Erfurts größter Delikat-Laden, bekannt auch als Freß-Ex und Wucherbude. Auf mehreren Etagen bekam man Dinge, die es sonst nicht zu kaufen gab. Zum Beispiel die berühmte Brüsseler Schokolade sowie Ananas und Pfirsiche in Büchsen – und das alles zu horrenden Preisen.

 

Die Gebäude lassen sich während eines Spaziergangs am besten erleben.
Da sich Ladengeschäfte in den meisten Häusern befinden, können sie zu den Geschäftszeiten natürlich auch von innen erkundet werden.

Der Anger im Zentrum Erfurts
Der Anger im Zentrum Erfurts
1) Anger 1
1) Anger 1
2) Geschäftshaus Johannesstraße
2) Geschäftshaus Johannesstraße
3) Fabrik A. Gebser & Co.
3) Fabrik A. Gebser & Co.
4) Anger 21
4) Anger 21
5) Anger 24
5) Anger 24
6) Anger 27
6) Anger 27
7) Anger 33
7) Anger 33
8) Geschäftshaus Schellhorn
8) Geschäftshaus Schellhorn
9) Kaufhaus Germania
9) Kaufhaus Germania
9) Kaufhaus Germania in schöner Lage
9) Kaufhaus Germania in schöner Lage
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