Standort Erfurt / Station Malakowturm des Königlichen Salzwerk
Vom einstigen Glanz ist nichts mehr übrig.
Wer der alten Erfurter Saline im Norden der Stadt heute einen Besuch abstattet, der steht vor einem imposanten Bau. Wuchtig wie eine Wehrkirche steht der Malakowturm in der Mitte eines Schachtgebäudes und trotzt mit letzter Kraft dem Zerfall. Denn längst flattern die schönen alten Tonziegel beim kleinsten Wind vom Dach, brechen Mauern, fehlen Türen und beginnt es an den reizvoll gemauerten Fenstern zu bröckeln. Den Rest erledigen Hecken und Sträucher als Vorboten einer Natur, die sich ihre Wiesen und Wälder zurückholen will. Auch Vandalen beschleunigen den Verfall eines einmaligen Bauwerks. Hier sieht man ganz offen: Es kümmert sich kaum einer mehr um dieses Stück Erfurter Bergbautradition.
„Stadt des Gartenbaus“, so kann man heute oben über dem Kopfe auf leuchtenden Schildern lesen, wenn man des Abends mit dem Pkw in die Landeshauptstadt rollt. Manchmal wird sie auch „Stadt der Türme“, des „Domes“, von „Hochschule und Forschung“ oder der „Mikroelektronik“ genannt. Kein Mensch käme auf die Idee, die Landeshauptstadt als Stadt der Bergarbeiter zu bezeichnen. Ein schallendes Gelächter wäre wohl die Antwort. Zu Unrecht eigentlich, den einst fuhren die Knappen in Erfurt in richtig tiefe Gruben ein. Ihr Ziel war das begehrte Steinsalz, das der Legende nach in früheren Jahrhunderten oft mit Gold aufgewogen werden musste, weil es rar, begehrt und damit teuer war.
Wer erinnert sich nicht an das tschechische Märchen „Salz ist wertvoller als Gold“. Es berichtet von einem alten König, der drei Töchter hat und sich entscheiden muss, welche von ihnen die künftige Königin werden wird. Die Töchter sollten die Frage beantworten „wie sehr sie ihren Vater lieben“, und die beste Antwort entscheidet die Wahl. Die erste Tochter äußert, sie möge den König so sehr wie Gold, die zweite sagt, sie schätze ihn wie einen Edelstein. Nach kurzem Nachdenken antwortet die dritte, die Lieblingstochter, sie liebe ihren Vater wie Salz. Da ist der König gekränkt und aufgebracht und weist seine jüngste Tochter empört aus dem Schloss. Das junge Mädchen gewinnt am Ende natürlich das Rennen um die Gunst des Vaters, weil im Lande eine Salzknappheit ausbricht, sie aber einen unterirdischen Salzvorrat findet. Ach ja, und es gibt auch einen realen historischen Ursprung für den Begriff des weißen Golds : Dem Salz gab man den Namen, weil überall, wo es auftauchte, der Reichtum nicht lange auf sich warten ließ.
Steinsalz, im Volksmund auch Kochsalz genannt, ist Gewürz und Heilmittel zugleich. Der Geschmack von Salz ist durch nichts zu ersetzen und sehr wichtig für viele Körperfunktionen des Menschen. Seine Fähigkeit zu schützen, zu reinigen und zu heilen ist seit Tausenden von Jahren bekannt. Im Altertum war Salz ein sehr begehrtes Handelsobjekt und eben teuer. Erst mit der industriellen Revolution wurde es für jedermann erschwinglich. Nachdem bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts an verschiedenen Stellen Salzlager im Thüringer Becken erbohrt und Salinen errichtet wurden, machte der Geologe August Rost 1839 auch auf Vorkommen in Erfurt aufmerksam. Schon damals war die Stadt verkehrstechnisch sehr gut erschlossen, was die Wirtschaftlichkeit natürlich erhöhte. Denn: Was nützt es, Salz in einem abgelegenen Waldgebiet zu finden und abzubauen, das dann über viele Kilometer mühsam zu den Abnehmern transportiert werden muss. So gesehen war Erfurt natürlich ein Top-Standort. Durch Verdunstung des einst vorhandenen Meereswassers kam es zu flächenhaften Steinsalzablagerungen. Dabei haben sich drei Steinsalzablagerungen in unterschiedlichen Teufen (Tiefen) gebildet, wovon das oberste Vorkommen durch eine niedergebrachte Erkundungsbohrung im Johannesfeld bei Erfurt im Jahr 1851 nachgewiesen wurde.
Wie auch immer: Man wurde richtig fündig!
Daraufhin ordnete der Königlich-Preußische Salinenfiskus 1856 die Errichtung eines Steinsalzwerkes bei Erfurt an. Schon ein Jahr später erfolgte dann der offizielle Startschuss zum Abbau der Vorkommen im heutigen Erfurter Norden. Die Erschließung der Steinsalzlagerstätte erfolgte über zwei nach unten getriebene Schächte in einer Tiefe von 370 m. Die eigentliche Förderung des Steinsalzes begann dann im Jahre 1863. Im Zeitraum 1868 bis 1874 kam noch eine Siedeanlage hinzu.
Auf Grund der gebauten Siedeanlage wurde daher später oft der Name Saline für das gesamte Bergwerk verwendet. Noch heute gibt es deshalb in Erfurt die Salinenstraße und wird Saline vor allem bei Älteren für den gesamten Stadtteil benutzt. Rein historisch gesehen, streiten sich die Experten allerdings darüber, ob es in Erfurt jemals wirklich eine richtige Saline im klassischen Sinne gegeben habe. Gegner verweisen auf den viel zu geringen Anteil der Salzgewinnung aus der flüssigen Sole . Das meiste sei von den Bergleuten im Stück gehauen und aus der Tiefe nach oben befördert worden, so das Argument. Die Erfurter Steinsalzgewinnung erfolgte also größten Teils durch bergmännische Gewinnung. Darunter versteht man, dass das Salzgestein aus dem Gebirge geschlagen und das gewonnene Rohsalz durch die vorhandenen Schächte nach oben und damit über Tage gefördert wurde. Interessant waren die Dimensionen des Erfurter Salzabbaus unter Tage. Die Kammern in der Tiefe waren 60 Meter bis 320 Meter lang, hatten eine Breite von 12 bis 33 und eine Höhe von 6 Metern. Mit einer durchschnittlichen Produktion von rund 20 000 Tonnen jährlich gehörte das Werk zu den kleineren Salzproduzenten des preußischen Staates. Im Durchschnitt waren hier 70 Arbeiter beschäftigt, die zum großen Teil im damaligen Dorf Ilversgehofen wohnten.
Das Salzwerk musste im Jahr 1916 wegen erheblicher sicherheitstechnischer Mängel, aber auch aus Rentabilitätsgründen, geschlossen werden. Es lohnte einfach nicht mehr, weil der Abbau von Salz an anderen Flecken der Erde einfach billiger war. Das Grubenfeld umfasste zum Zeitpunkt der Stilllegung 1916 eine Fläche von 750 Meter mal 450 Meter. Insgesamt wurden während der gesamten Zeit des Abbaus rund eine Million Tonnen Steinsalz gewonnen. Nach der Schließung erfolgten Sicherungs- und Verwahrmaßnahmen. Die oberirdischen Anlagen wurden für verschiedene Zwecke genutzt, etwa als Lagerraum für Möbel in DDR-Zeiten. Die Saline war im Norden Erfurts während ihrer aktiven Zeit als Bauwerk nicht zu übersehen. Der Malakowturm wie das Schachtgebäude oft genannt wurde gilt noch heute als eine der monumentalsten Objekte des Erfurter Industriebaus.
Wie aber kam der Turm zu seinem Namen?
Malakowtürme stehen nach historischen Berichten überall in den Bergwerksgegenden. Ihre massive Gestaltung glich den Festungstürmen eines einst nicht einnehmbaren Forts in Sewastopol, das nach General Malakow benannt wurde. Das Traurige daran: Nur mit Mühe findet man den historisch so interessanten Komplex im Gewirr der heutigen Straßen und Plätze. Dabei lohnt es sich durchaus, einen Blick auf die Dimensionen des Ma-lakowturmes zu werfen, der beinahe quadratisch ist. Er hat die Maße von 14 Meter mal 12 Meter und eine Höhe von 22 Metern. Der Turm entstand in den Jahren zwischen 1858 1859 und steht über dem sogenannten Nordschacht. Damit ist natürlich der nördlich gelegene Förderschacht des Salzwerkes gemeint. Eindrucksvoll ist auch die Bauweise des Schachtgebäudes. Immerhin sind die Außenwände teilweise bis zu 1,30 Meter dick. Das hat mit den riesigen Kräften zu tun, die vom Mauerwerk aus Bruchsteinen abgefangen werden mussten. Gemeint sind sowohl die Belastungen durch das Eigengewicht des Schachtgebäudes, wie die Horizontalkräfte, die bei der Förderung durch die Seile entstehen. Die Arbeit der Bergleute war hart, der Verdienst gering. Trotz allen Zwanges zum Sparen, der schon damals herrschte, legten die Bauherren viel Wert auf das Äußere der Anlage. Das kann man beispielsweise an der aufwendigen Gestaltung der Türen und Fenster nachvollziehen. Drei Hausseiten weisen Rundbogenfenster auf, deren innere Fenstergewände und äußeren Fensterbögen in Ziegelbauweise gearbeitet sind. Der Malakowturm bildet mit dem Fördermaschinengebäude, dem Mahlwerk und dem Pumpengebäude die heute noch bestehende verfallende kompakte Anlage. Der noch erhaltene Bau dokumentiert aus Sicht der Denkmalsschützer in charakteristischer Weise das Aussehen einer Salzgewinnungsanlage aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das gilt, obwohl bereits Teile wie das hölzerne Förderhaus und einige Schornsteine abgebrochen wurden. Der heute noch vorhandene Gebäudekomplex besteht aus dem zentralen turmartigen viergeschossigen Bau. An drei Seiten schließen niedrigere Schuppen mit flachen Satteldächern an. Während der Mittelbau als Förderhaus diente, waren in den Seitengebäuden die Siedepfannen und Salzlager untergebracht. Einer der Anbauten könnte als Versandhaus genutzt worden sein. Genauere Angaben sind nach Auskunft von Historikern nicht mehr ermittelbar. Die Bausubstanz besteht durchweg aus Kalkbruchsteinmauern. Westlich dieses Gebäudekomplexes befindet sich ein eingeschossiges ehemaliges Verwaltungsgebäude, das ebenfalls denkmalrelevant ist. Doch wie das so ist mit dem Denkmalschutz: Es gibt eine lange Warteliste von interessanten Objekten. Die Saline in Erfurt ist dabei offenbar noch nicht sehr weit nach vorn gerückt!