Standort Erfurt / Station Erfurter Gewehrfabrik | Büromaschinenwerk Olympia | Optima
Aus der Olympia wurde die Optima
Wer heutzutage in Erfurt in die Oper geht, wer gleich gegenüber im 5-Sterne-Hotel übernachtet oder wer einfach so durch den Stadtteil Brühl schlendert, bewegt sich tatsächlich in einem einstigen Industriegebiet. Freilich sind die meisten Bauten inzwischen abgerissen oder aber einer neuen Nutzung zugeführt worden. Erfurt war lange Zeit eine Stadt der Schreibmaschinen. Sie wurden in dem Stadtviertel hinter dem Dom montiert. Hier war ein ganzer industrieller Komplex gewachsen, der vom Heizwerk über Schmieden bis hin zur Montage und Auslieferung so ziemlich alle Abschnitte vereinte, die zu einer effektiven Fertigung nötig sind.
Ganz am Anfang der Unternehmensgeschichte standen Karabiner für das deutsche Heer. Die Ursprünge der Königlich-Preußischen Gewehrfabrik Erfurt lagen in Saarn bei Mühlheim an der Ruhr. Die dortige Waffenfertigung verlegte man 1862 aus strategischen Gründen in das befestigte Erfurt. Hier entwickelte sich die Fabrik rasch zum größten Arbeitgeber der Stadt. Sie beschäftigte 1866 schon 420 Mitarbeiter. Das Werk stand unter militärischem Befehl. Alle höheren Angestellten vom Meister an waren Militärpersonen. Die Arbeiter mussten sich einem militärischen Regime unterwerfen, Vergehen wurden hart bestraft. Der Standort am Mainzerhofplatz wurde mehrmals ausgebaut. Schon vor der Jahrhundertwende wurden zeitweise 2600 Arbeiter gezählt. Während des Weltkrieges produzierte die Erfurter Gewehrfabrik mit über 13 000 Beschäftigten. Frauen wurden erst seit dem Ersten Weltkrieg beschäftigt. Nachdem die Fabrik im Sommer 1919 kurzzeitig ganz stillgelegt wurde, stellte man nach und nach wieder Personal ein. Gemäß den Festlegungen des Versailler Vertrages bestand die erste Aufgabe in der Demontage und Vernichtung von Gewehren, Maschinen, Schießständen, Gewehrläufen und Schafthölzern. Gleichzeitig versuchte die Geschäftsführung der nunmehrigen Deutsche Werke AG eine Ersatzproduktion zu finden. Die erfolgreich aufgenommene Jagd- und Sportwaffenfertigung wurde im Sommer 1923 aber endgültig von den Alliierten mit einem Verbot belegt. Dass man sich in Erfurt schließlich für die Schreibmaschinenproduktion entschied, war dem Zusammengehen mit der AEG zu verdanken. Der Erfurter Betriebsteil ging zu 50 Prozent an die AEG. Sie verlagerte ihre Schreibmaschinenproduktion hierher. Der Name des Schreibmaschinenherstellers war nun AEG Deutsche Werke Schreibmaschinengesellschaft. Während in Erfurt produziert wurde, verblieb der Verwaltungssitz noch in Berlin.
Ab 1924 wurde in Thüringen die Mignon - eine heute unter Sammlern berühmte Zeigerschreibmaschine - hergestellt. Schon 1925 ging die größere Klaviaturschreibmaschine Modell 6 in Serie, die an eine englische Maschine angelehnt war. Im Jahr darauf wurde die Fließbandfertigung eingeführt. Bald bereicherten Langwagenmaschinen, Sondermodelle für Blinde und eine Maschine für Matrizen das Erfurter Produktionsprogramm. Die Buchungsmaschine, an die ein Rechenwerk mit den Namen Saldomat angeschlossen werden konnte, kam 1928 in die Produktion. Ende der 20er-Jahre begann die Herstellung von Büromöbeln. 1929 verfügte die AEG über 100 Prozent der Aktien am Erfurter Werk. Ab 1930 firmierte die Fabrik unter dem Namen Europa Schreibmaschinen AG . Den Firmensitz verlegte die Geschäftsleitung 1932 nach Erfurt. Während der Weltwirtschaftskrise musste über die Hälfte der Mitarbeiter entlassen werden. Erst 1934 wurde wieder voll gearbeitet. Anfang der 30er Jahre begann die Produktion von Kleinschreibmaschinen, sie brachte die Erfurter Fabrik 1935 an die erste Stelle unter den deutschen Schreibmaschinenherstellern. Ab 1930 war das Modell 7 einer großen Büromaschine auf dem Markt. Sie erhielt den Namen Olympia. Seit 31. Dezember 1936 hieß das Erfurter Werk Olympia Büromaschinenwerk AG Erfurt.
Auf den Krieg reagierte das Werk auch mit robusten Frontschreibmaschinen. 1941 wurde dem Olympia- Werk zudem ein Teilbetrieb der Berliner Pallas Apparatebau angeschlossen. Dieser AEG- Betrieb stellte in Erfurt Teile für Flugzeugmotoren her. Die Olympia produzierte auch für den Rüstungsbetrieb ERMA und für das Telefunken-Werk. Die Kriegsproduktion umfasste ein Granatzielgerät, Magazine, Flakzünder sowie Patronengurte. Auch die Schreibmaschinenproduktion lief weiter. 1942 wurde die millionste Schreibmaschine der AEG gefertigt.
Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges konnte die Arbeit nicht sofort wieder aufgenommen werden. Zuerst fanden sich ungefähr 800 Arbeiter ein, die mit den Aufräumarbeiten der zerstörten Anlagen begannen. Die Direktion nutzte die verbliebene Zeit bis zum Einmarsch der russischen Truppen, um wichtige Betriebsunterlagen und Betriebskapital aus der Firma zu ziehen und sich selbst in die westlichen Besatzungszonen abzusetzen.
Alsbald lief die Schreibmaschinenproduktion wieder an. Als Startschuss wurde das Modell M8 gebaut. Ab August 1945 gingen die Erzeugnisse schon auf das Reparationskonto der Sowjetunion. Im Dezember 1945 fiel das Werk unter Sequester, ein Treuhänder wurde eingesetzt. Da die AEG zu den größten Rüstungsproduzenten zählte und auch der Olympia-Betrieb Rüstungsproduktion betrieben hatte, sollte das Werk 1946 demontiert werden. Doch Olympia hatte Glück im Unglück. Der Betrieb wurde im November der Sowjetischen Aktiengesellschaft „Totmasch“ angegliedert.
1948 erreichte das Olympia-Werk Erfurt sechzig Prozent der Vorkriegsproduktion, das entsprach einer Jahresproduktion von 64 382 Schreibmaschinen. 1949 arbeiteten wieder 4442 Beschäftigte an den Bändern. In Wilhelmshaven etablierte sich inzwischen ein neues Olympia-Werk. Zwischen den beiden Betrieben entstand ein Rechtsstreit, der 1950 mit einer Erfurter Niederlage endete. Ein juristischer Ausgang, wie er für das damalige Verhältnis der beiden deutschen Staaten typisch war.
Also beschloss die Betriebsleitung eine Umbenennung des Werkes. Es trug nun den Namen „VEB Optima Büromaschinenwerk Erfurt“. Der Optima gelang es 1963, sich als Schreibmaschinenproduzent den fünften Platz auf dem Weltmarkt zu sichern. 1979 konnte Optima als einer der ersten Betriebe der Welt eine elektronische Schreibmaschine, die „robotron S 6001“, vorstellen. 1984 kam die erste bilinguale elektronische Schreibmaschine, 1985 die elektronische „S 6130“ und 1987 die elektronische Kleinschreibmaschine „S 3004“. Aus dem ehemaligen VEB Robotron Optima Büromaschinenwerk wurden nach 1990 fünf Betriebe ausgegliedert. Noch 1994 belieferten sie 30 Länder der Welt. Dann das Aus: Angesichts des Vormarschs der Computertechnik wurde die Schreibmaschinenproduktion aufgegeben.
Literaturtipp zum Thema: Manufakturen Maschinen Manager Band 1
Das ehemalige Optima-Gelände befindet sich hinter dem Erfurter Dom, im sogenannten Brühl. Hier entstand seit den 1990er Jahren ein moderner Stadtteil. Mehrere historische Fabrikgebäude blieben erhalten; sie stehen mitten zwischen Neubauten, zu denen auch die Erfurter Oper gehört. Das Stadtviertel ist frei zugänglich.