Tipp 1 - Produktions- und Verwaltungsgebäude Firma Pels-Umformtechnik Erfurt
Solide Pressen von Henry Pels
Umformtechnik aus Erfurt? Viele junge Thüringer wissen gar nicht mehr, dass zahlreiche der weltweit eingesetzten Pressen zur Herstellung von Autoblechen aus Erfurt kamen und immer noch kommen. Im Norden steht eines der größten und bedeutendsten Industriewerke der Landeshauptstadt, dessen Geschichte einst mit dem Namen Pels begann. „Ich arbeite bei Pels“, dieser Satz hatte stets einen guten Klang.
Pressen aus Erfurt galten als modern und unverwüstlich. So heißt es in einem 1960 von der Firma Etablissements C. Boeckel aus Straßburg an den VEB Pressen- und Scherenbau Erfurt gesandten Brief: „Unsere Schere R.T.30 hat uns während 30 Jahren zu unserer vollständigen Zufriedenheit gedient. Hätten Sie vielleicht Gelegenheit, einen Käufer zu finden? Die Maschine ist in sehr gutem Zustand und funktioniert heute noch prima. Außerdem sind wir noch im Besitz von zwei Handmaschinen, eine davon, Modell H 30, nach 1918 von Ihnen geliefert, mit Rundeisenschneider...“
Die Marke Pels wurde zum Teil bis in die 1950er-Jahre verwendet und geht auf den Gründer Henry Pels und seine Berlin-Erfurter Maschinenfabrik Henry Pels & Co. zurück. Henry Pels wurde 1865 in Hamburg als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Er erlernte den Beruf des Kaufmanns und erwarb schon bald praktische Erfahrungen. 1893 gründete er seine erste Firma. Dieses Handelsunternehmen namens Henry Pels & Co. war in Hamburg ansässig. Pels übernahm 1902 die Herstellung der schon von ihm vertriebenen Werkzeugmaschinen sowie einen Teil der Fabrikhallen in der Schwerborner Straße im Erfurter Vorort Ilversgehofen. Das war die Geburtsstunde der Berlin-Erfurter Maschinenfabrik Henry Pels & Co. Bis zum Ersten Weltkrieg produzierte die Fabrik verschiedene Scheren und Lochstanzen oder kombinierte Maschinen. Spezialausführungen gingen an Schiffshersteller.
Henry Pels hatte sein Vertriebsnetz inzwischen gut ausgebaut. Er verfügte über sieben Filialen im In- und Ausland und lieferte jetzt in 15 europäische Länder sowie nach Afrika, Amerika, Australien und Asien. Mehr als 90 Prozent der Produktion gingen in den Export. Die Erfüllung ausländischer Lieferverträge zwang Pels 1911 sogar, auf die Streikforderungen seiner Erfurter Arbeiter einzugehen und eine Aussperrung aufzuheben. Bis 1925 wuchs die Erfurter Belegschaft auf 810 und bis 1929 sogar auf 1077 Beschäftigte an. Nicht zuletzt verdankte das Unternehmen seine lang anhaltende Stabilität den sogenannten Russenaufträgen, die schon seit Anfang der 1920er-Jahre bei Pels getätigt wurden. Noch im Jahre 1999 wurden in einem Werk im russischen Saratow Pels-Maschinen eingesetzt, die in den 20er-Jahren ausgeliefert worden sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg startete das Unternehmen neu durch. Ab 1954 gehörte der Betrieb zum Volkseigentum der DDR. Er wurde zum VEB Pressen- und Scherenbau Henry Pels. Hauptabnehmer blieb die Sowjetunion. Das weltweit berühmte Firmen- und Produktzeichen PELS durfte die Erfurter Firma allerdings nach einem Rechtsstreit mit den Industriewerken Karlsruhe nicht mehr benutzen. So entschied man sich für das neue Zeichen ERFURT, das ab 1957 an den Maschinen zu lesen war. 1970 wurde aus neun Betrieben der DDR und einem Forschungszentrum der VEB Kombinat Umformtechnik Erfurt gebildet. Ihm wurden 1974 und 1976 weitere Betriebe angeschlossen. Mit erheblichen Investitionen in die Modernisierung der Fertigungsanlagen und der Konstruktion, konnte der Produktionsstandort Erfurt bis heute erhalten bleiben. Sicher ein Grund, warum man die schöne Architektur des Werkes immer noch bestaunen kann. Das Hauptgebäude wurde zunächst als Verwaltungsgebäude nach einem Entwurf von Karl Stodik in mehreren Bauabschnitten zwischen 1921 und 1924 an der östlichen Begrenzung des heutigen Henry-Pels-Platzes errichtet. Es ist ein langgestreckter dreigeschossiger Baukörper aus roten Mauerziegeln mit flachem Satteldach. Der Grundriss folgt dem Straßenverlauf. Stück um Stück wurde dieser Bau erweitert, es entstanden Werkshallen ebenso wie Ateliers für die Konstrukteure und eine Versandhalle.
Östlich und an die heutigen Hugo-John-Straße anschließend liegt ein ehemaliges Produktionsgebäude für Presswerkzeuge, das jetzt von anderen Nutzern gemietet ist. Es stehen noch Teile der alten Härterei ebenso wie der Versand. Heute arbeitet das Werk unter dem Dach des weltweit operierenden Schuler-Konzerns. Als einer der zentralen Produktions- und Servicestandorte fertigt die Erfurter Niederlassung zumeist Anlagen für die Automobil-, Zuliefer-, Elektro- und Hausgeräte-Industrie. Das Leistungsspektrum reicht von der Herstellung und Montage unterschiedlicher mechanisch und hydraulisch angetriebener Pressen bis hin zu umfassenden Servicedienstleistungen. Eine Tradition, die alle politischen Wenden überlebt hat.
Das heutige Schuler-Werk befindet sich im Erfurter Norden, in der Schwerborner Straße 1. Es kann jederzeit von außen besichtigt werden.
Literaturtipp zum Thema: Manufakturen Maschinen Manager Band 1